Typ
VfGH Erkenntnis
Datum
19960305
Sammlungsnummer
14453
Geschäftszahl
B2674/94
Index
91 Post-und Fernmeldewesen
91/01 Fernmeldewesen
Norm
B-VG Art140 Abs1 / Allg;
B-VG Art140 Abs1 / Präjudizialität;
B-VG Art140 Abs1 / Prüfungsgegenstand;
EMRK Art10;
RegionalradioG;
RundfunkG;
FernmeldeG §3;
BVG-Rundfunk ArtI
Abs2;
Leitsatz
Keine Verletzung der Rundfunkfreiheit durch
Versagung der Bewilligung
zur Errichtung und zum Betrieb eines
Fernsehsenders auf dem Wiener
Donauturm; Unzulässigkeit der Verbreitung von
terrestrischem
Fernsehen für andere Veranstalter als den ORF
aufgrund Untätigkeit
des Gesetzgebers; gänzliches Untätigbleiben
des Gesetzgebers vom
Verfassungsgerichtshof nicht aufgreifbar; RundfunkG und
RegionalradioG im vorliegenden Verfahren nicht präjudiziell
Spruch
Die beschwerdeführende Gesellschaft ist durch den
angefochtenen Bescheid weder in einem
verfassungsgesetzlich
gewährleisteten Recht noch wegen Anwendung einer rechtswidrigen
generellen Norm in ihren Rechten verletzt
worden.
Die
Beschwerde wird abgewiesen.
Begründung
Entscheidungsgründe:
I. 1. Mit dem im Instanzenzug ergangenen
Bescheid vom 1. Dezember
1994 wies der Bundesminister für öffentliche
Wirtschaft und
Verkehr - gestützt auf §3 Fernmeldegesetz
1949, BGBl. 170/1949
idF BGBl. 49/1972, und auf ArtI des
Bundesverfassungsgesetzes
über die Sicherung der Unabhängigkeit des
Rundfunks, BGBl.
396/1974, (im folgenden:
BVG-Rundfunk) - den Antrag der
beschwerdeführenden Gesellschaft ab, ihr eine Bewilligung zur
Errichtung und zum Betrieb eines Fernsehsenders
auf dem Wiener
Donauturm zur Versorgung des Wiener Raumes zu
erteilen. Nach
ArtI Abs1 und 2 BVG-Rundfunk sei die Errichtung und der Betrieb
von Rundfunkanlagen nur bei Vorliegen eines
Bundesgesetzes
zulässig, das zu einer solchen Tätigkeit
ermächtigt. Da ein
derartiges Gesetz über einen
Regionalfernsehrundfunk nicht
bestehe, könne dem Antrag nicht stattgegeben
werden.
2.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende, auf
Art144 Abs1 B-VG gestützte Beschwerde an den
Verfassungsgerichtshof, in der die Verletzung
der
verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechte
auf Rundfunkfreiheit
und auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem
Gesetz sowie
(alternativ) eine Rechtsverletzung wegen
Anwendung
verfassungswidriger Gesetzesvorschriften
behauptet und die
kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen
Bescheides begehrt
wird. Das bestehende Fernseh(sende)monopol verstoße - wie sich
aus der Entscheidung des EGMR vom 24. November
1993,
Informationsverein Lentia
u.a. gegen Österreich, Serie A, Nr. 276
(vgl. auch Medien und Recht 1993, 239 ff. und
ÖJZ 1994, 32 ff.),
ergebe - gegen Art10 EMRK und sei daher
verfassungswidrig. Da
ein Gesetz, das zur Veranstaltung privaten
Fernsehens ermächtige,
nicht ergangen sei, greife der Bescheid gesetzlos
in die
Rundfunkfreiheit der beschwerdeführenden
Gesellschaft ein; wollte
man aber - im Sinne von VfSlg.
9909/1983 - annehmen, daß ein zur
Veranstaltung von privatem Fernsehen
ermächtigendes Gesetz
Voraussetzung für eine Genehmigung sei, so
seien jene
Rechtsvorschriften konventions- und damit
verfassungswidrig, die
eine solche Ermächtigung bloß dem ORF bzw.
bloß für
Hörfunksendungen gewähren, also das
Rundfunkgesetz (RFG), BGBl.
379/1984 idF BGBl.
505/1993, und das Regionalradiogesetz (RRG),
BGBl. 506/1993.
Die
belangte Behörde hat die Verwaltungsakten vorgelegt und in
einer Gegenschrift die Rechtmäßigkeit des
bekämpften Bescheides
verteidigt und die Abweisung der Beschwerde
begehrt.
II. Der
Verfassungsgerichtshof
hat über die - zulässige - Beschwerde erwogen:
1. a)
Die österreichische Rundfunkverfassung wird - wie der
Verfassungsgerichtshof in seinem Erkenntnis G
1256-1264/95 vom
27. September 1995 zusammenfassend
festgehalten hat - durch die
Gewährleistung der Rundfunkfreiheit in Art10
EMRK und durch das
BVG-Rundfunk konstituiert:
"Art10 Abs1 EMRK garantiert als Bestandteil des Rechtes auf
freie Meinungsäußerung auch die Freiheit zur
Mitteilung von
Nachrichten oder Ideen mit Hilfe von Rundfunk-
einschließlich
Fernsehrundfunkanlagen (individuelle
Rundfunkfreiheit), doch
schließt diese Gewährleistung es nicht aus, daß die Staaten
Rundfunkunternehmungen einem
Genehmigungsverfahren unterwerfen.
Freilich müssen nach der Rechtsprechung des
EGMR (siehe
insbesondere seine Entscheidung
Informationsverein Lentia u.a.
gegen Österreich vom 24. November 1993, Serie
A, Nr. 276 (vgl.
auch Medien und Recht 1993, 239 ff. und ÖJZ
1994, 32 ff.)) die
Ausgestaltung des Genehmigungsverfahrens und
die Versagungsgründe
einer Verhältnismäßigkeitsprüfung standhalten.
ArtI des BVG-Rundfunk bestimmt zunächst, daß unter Rundfunk
die für die Allgemeinheit bestimmte
Verbreitung von Darbietungen
aller Art in Wort, Ton und Bild unter
Benützung elektrischer
Schwingungen ohne Verbindungsleitung bzw.
längs oder mittels
eines Leiters sowie der Betrieb von
technischen Einrichtungen,
die diesem Zweck dienen, zu verstehen ist
(Abs1).
...
In
Abs2 sieht ArtI des BVG-Rundfunk vor, daß die näheren
Bestimmungen für den Rundfunk und seine
Organisation
bundesgesetzlich festzulegen sind. Ein solches
Bundesgesetz hat
insbesondere Bestimmungen zu enthalten, die
die Objektivität und
Unparteilichkeit der Berichterstattung, die
Berücksichtigung der
Meinungsvielfalt, die Ausgewogenheit der
Programme sowie die
Unabhängigkeit der Personen und Organe, die
mit der Besorgung von
Rundfunk betraut sind, gewährleisten."
Aufgrund dieser Verfassungsrechtslage hat der
Verfassungsgerichtshof schon in VfSlg. 9909/1983 den Standpunkt
eingenommen, daß die
Regelung des ArtI BVG-Rundfunk bewirkt, daß
ein Gesetz nicht Schranke, sondern Bedingung
der Zulässigkeit der
Veranstaltung von Rundfunk ist, daß also Rundfunk nur aufgrund
einer bundesgesetzlichen Ermächtigung
betrieben werden darf. Im
zitierten Erkenntnis vom 27. September 1995
hat er diese
Auffassung mit subjektiv-historischen
Argumenten bekräftigt. Er
bleibt bei dieser Auffassung:
Der
Wille des Verfassungsgesetzgebers war es, die
Veranstaltung von Rundfunk einem Genehmigungsverfahren
zu
unterwerfen und den einfachen Gesetzgeber zu
einer bestimmten
Ausgestaltung zu verpflichten. Dies wird durch
Art10 Abs1 EMRK
ermöglicht; insoweit steht ArtI
BVG-Rundfunk in der Bedeutung,
die der Verfassungsgerichtshof dieser Bestimmung
in den beiden
zitierten Entscheidungen gegeben hat, in
keinem Widerspruch zur
konventionsrechtlichen Garantie der Rundfunkfreiheit. In ein
Spannungsverhältnis zu dieser gelangt
allenfalls erst die
Untätigkeit des Gesetzgebers, doch verbietet
es sich, den Gehalt
der maßgeblichen
rundfunkverfassungsrechtlichen Bestimmungen im
Hinblick darauf in einen bloßen
Eingriffsvorbehalt "umzudeuten".
b)
Die notwendigen bundesgesetzlichen Ermächtigungen zur
Veranstaltung von Rundfunk bestehen derzeit
für die Veranstaltung
von Hörfunk und Fernsehen durch den ORF in
Form des RFG und für
die Verbreitung von Hörfunkprogrammen auf
terrestrischem Weg
durch andere Programmveranstalter in Form des
RRG. Für passiven
und (nach dem Erkenntnis vom 27. September
1995, G 1256-1264/95,
ab 1. August 1996 auch für) aktiven
Kabelrundfunk (in der Form
von Hörfunk und Fernsehen) enthält die im
Range eines
Bundesgesetzes stehende (ArtI
Abs1 Z7 des Bundesgesetzes
BGBl. 267/1972) Rundfunkverordnung, BGBl.
333/1965 idF BGBl.
701/1995, eine entsprechende gesetzliche
Ermächtigung. Eine
gesetzliche Ermächtigung für die Verbreitung
von terrestrischem
Fernsehen besteht - sieht man von der
Ermächtigung an den ORF
durch das RFG ab - derzeit nicht.
2.
Aus dieser rechtlichen Situation ergibt sich - angesichts
des oben (vgl. Pkt.
II.1.a)) skizzierten Gehalts des ArtI Abs1
und 2 BVG-Rundfunk - die rechtliche
Unzulässigkeit der
Veranstaltung von terrestrischem Fernsehen für
andere
Veranstalter als den ORF. Dies hält die beschwerdeführende
Gesellschaft als in Widerspruch zu Art10 EMRK
stehend für
verfassungswidrig.
Die
Besonderheit der hier zu beurteilenden Situation liegt nun
zum einen darin, daß
das System, demzufolge für die Verbreitung
von Hörfunk und Fernsehen eine spezifische
bundesgesetzliche
Bewilligung oder Ermächtigung vorliegen muß, verfassungsrechtlich
grundgelegt und damit einer Nachprüfung durch den
Verfassungsgerichtshof entzogen ist, und zum
anderen darin, daß
die Unzulässigkeit der Verbreitung von
terrestrischem Fernsehen
(für andere Veranstalter als den ORF) auf die
Untätigkeit des
Gesetzgebers zurückgeht.
Eine
Untätigkeit des Gesetzgebers kann vom
Verfassungsgerichtshof dann auf ihre
Verfassungsmäßigkeit geprüft
werden, wenn es sich bloß um ein partielles
Unterlassen handelt,
wenn also ein Zusammenhang zu einer
bestehenden Norm gegeben ist,
der es erlaubt, diese als Bezugspunkt für die
Auswirkungen
anzusehen, die das gesetzgeberische
Unterlassen nach sich zieht
(vgl. Oberndorfer, EuGRZ
1988, 193 ff., hic: 196 f.; Holoubek,
Rundfunkfreiheit und Rundfunkmonopol, 1990,
197 bis 201; beide
mit Judikaturhinweisen).
Während in dem (mit Erkenntnis vom 27. September 1995,
G 1256-1264/95, entschiedenen) Fall des
Kabelrundfunks die
Veranstalter zu einer - freilich bloß sehr
eingeschränkten -
Veranstaltung von Kabelrundfunksendungen
ermächtigt waren (und
der Verfassungsgerichtshof daher durch
Beseitigung der
Einschränkung eine der Rundfunkfreiheit
entsprechende Regelung
auf diesem Gebiet bewirken konnte), ist die
Veranstaltung von
terrestrischem Fernsehen durch andere als den
ORF gänzlich
ausgeschlossen. Es liegt also kein bloß
partielles Unterlassen,
sondern eine gänzliche Untätigkeit des
Gesetzgebers vor.
Die beschwerdeführende Gesellschaft sieht den Bezugspunkt für
die behauptete Verfassungswidrigkeit im RFG
und im RRG. Diese
Gesetze ermächtigen den ORF und unter
bestimmten Voraussetzungen
regionale und lokale Hörfunkveranstalter zur
Verbreitung von
Rundfunk auf terrestrischem Wege. Mit diesen
Regelungen ist aber
weder die Intention verbunden, ein Verbot für
Rundfunkdarbietungen durch andere Veranstalter
auszusprechen,
noch ist dies dem
Gesetzgeber objektiv zusinnbar. Der
Regelungsgehalt dieser beiden Gesetze besteht
in der -
konventionsrechtlich unbedenklichen -
Ermächtigung zur
Veranstaltung von Rundfunk durch den ORF bzw.
zur
Konzessionierung regionaler und lokaler
Hörfunkveranstalter. Der
Verfassungsgerichtshof verkennt nicht, daß die Tatsache, daß es
ansonsten keine gesetzliche Ermächtigung zur
Veranstaltung von
terrestrischem Rundfunk gibt, die von der beschwerdeführenden
Gesellschaft inkriminierte Folge der
Unzulässigkeit der Erteilung
von angestrebten Bewilligungen zur Errichtung
und zum Betrieb
einer Fernsehanlage hat; dies bewirkt aber
nicht, daß ein solches
Verbot normativer Gehalt dieser Gesetze wäre.
Die belangte
Behörde hatte daher bei Erlassung des
bekämpften Bescheides weder
Vorschriften des RFG noch solche des RRG
anzuwenden, und auch für
den Verfassungsgerichtshof sind sie in diesem
Verfahren nicht
präjudiziell.
Ein
nicht bloß partielles Unterlassen, sondern ein gänzliches
Untätigbleiben des Gesetzgebers kann jedoch
vom
Verfassungsgerichtshof nicht aufgegriffen
werden: Weder Art140
B-VG noch eine andere Bestimmung der
Bundesverfassung ermächtigt
den Gerichtshof, den Gesetzgeber zu einem Gesetzgebungsakt zu
verpflichten. Sollte die in der Beschwerde
angenommene
Verfassungswidrigkeit der Unzulässigkeit der
Veranstaltung
terrestrischen Fernsehens durch andere
Veranstalter als den ORF -
eine Konsequenz, die sich möglicherweise aus
der schon zitierten
Entscheidung des EGMR Informationsverein Lentia u.a. gegen
Österreich ergeben könnte - tatsächlich
konventionswidrig sein,
kann angesichts dieser Konstellation nur eine
Entscheidung des
EGMR Abhilfe bewirken; nur dieser ist daher
zuständig, die Frage
des Vorliegens einer solchen
Konventionswidrigkeit mit
verbindlicher Wirkung zu klären.
3.
Der Beschwerde war daher der Erfolg versagt.
Schlagworte
Rundfunk, Fernsehen terrestrisches,
Fernmelderecht,
Meinungsäußerungsfreiheit, Rundfunkfreiheit, VfGH / Zuständigkeit,
VfGH / Prüfungsgegenstand, VfGH / Präjudizialität
Dokumentnummer
JFT/10039695/94B02674