Typ
VfGH Erkenntnis
Datum
20000309
Sammlungsnummer
15759
Geschäftszahl
G2/00 ua
Index
70
Schulen
70/09 Minderheiten-Schulrecht
Norm
B-VG Art140 Abs5 / Fristsetzung;
Minderheiten-SchulG f Krnt §16 Abs1;
StV St Germain 1919 Art68;
StV Wien 1955 Art7 Z2;
Leitsatz
Aufhebung von Teilen des Minderheiten-SchulG
f Krnt betreffend die im
Hinblick auf den StV
Wien 1955 unzulässige Beschränkung des Anspruchs
auf Elementarunterricht in slowenischer
Sprache auf die ersten drei
Schulstufen der Volksschule
Spruch
Im ersten Satz des §16 Abs1 des Bundesgesetzes
vom 19. März 1959,
womit für das Bundesland Kärnten Vorschriften
zur Durchführung der
Minderheiten-Schulbestimmungen des
Österreichischen Staatsvertrages
getroffen werden (Minderheiten-Schulgesetz für
Kärnten), BGBl.
Nr. 101/1959 idF
BGBl. Nr. 326/1988, 35/1990 und 420/1990, werden die
Worte "ersten drei" im ersten
Halbsatz sowie der zweite Halbsatz als
verfassungswidrig aufgehoben.
Die Aufhebung tritt mit Ablauf des 31. August 2001 in Kraft.
Der Bundeskanzler ist zur unverzüglichen Kundmachung dieser
Aussprüche im BGBl. I verpflichtet.
Begründung
Entscheidungsgründe:
I.
Beim Verfassungsgerichtshof sind zu den Zahlen B156/95,
158/95 und 159/95 Beschwerden anhängig, denen
folgender Sachverhalt
zu Grunde liegt:
1. Die Beschwerdeführer in den zur gemeinsamen Beratung und
Entscheidung verbundenen Beschwerdesachen waren im Schuljahr
1993/1994 Schüler der vierten Klasse der
Volksschule Sittersdorf. Am
14. September 1993 teilte ihnen der
Schulleiter der Volksschule
Sittersdorf - mit wortgleichen Erledigungen - mit:
"Ihrem Antrag auf Erteilung des zweisprachigen Unterrichtes
in der 4. Klasse (4. Schulstufe) der
Volksschule Sittersdorf kann
aufgrund der geltenden Rechtslage nicht
entsprochen werden, weil
diese lediglich für die 1. bis 3. Schulstufe
einen derartigen
Unterricht ermöglicht."
Gegen die als Bescheid gewerteten Erledigungen erhoben die
Beschwerdeführer Berufung. Daraufhin teilte
der Bezirksschulrat
Völkermarkt den Beschwerdeführern (zhdn. ihres Rechtsvertreters) "in
Beantwortung der ... eingebrachten Berufung
... mit, dass gemäß
Minderheiten-Schulgesetz für Kärnten §16 Abs1 idgF ab der vierten
Schulstufe der Unterricht in deutscher Sprache
zu erteilen und die
slowenische Sprache mit vier Wochenstunden als
Pflichtgegenstand zu
führen ist. Dem Antrag auf Erteilung des
zweisprachigen Unterrichts
in der 4. Schulstufe (4. Klasse) kann daher
nicht entsprochen
werden."
Gegen die abermals als Bescheide gewerteten Erledigungen
erhoben die Beschwerdeführer ebenfalls
Berufung. Daraufhin richtete
der Landesschulrat für Kärnten an die
Beschwerdeführer am
14. Dezember 1993 je folgendes Schreiben:
"Unter Bezugnahme auf Ihr als Berufung bezeichnetes Schreiben
vom 9.11.1993 teilt Ihnen der Landesschulrat
für Kärnten folgendes
mit:
Gemäß §16 Abs1 des Minderheiten-Schulgesetzes für Kärnten,
BGBl. 101/1959, idgF
ist der Unterricht an zweisprachigen
Volksschulen von der 4. Schulstufe an in
deutscher Sprache zu
erteilen; die slowenische Sprache ist mit vier
Wochenstunden als
Pflichtgegenstand zu führen. Dem Antrag Ihres
Mandanten (Ihrer
Mandantin) ..., auch in der 4. Klasse der
Volksschule
Elementarunterricht in slowenischer Sprache zu
erteilen, kann daher
nicht entsprochen werden. Der Landesschulrat
für Kärnten bedauert,
Ihnen keine andere Mitteilung machen zu
können."
Auch diese Erledigungen des Landesschulrates werteten die
Beschwerdeführer als Bescheid und erhoben
ebenfalls Berufung.
2. Mit den angefochtenen Bescheiden vom 29. November 1994
wies der Bundesminister für Unterricht und
Kunst die Berufungen der
Beschwerdeführer gemäß §§7, 13 und 16
Minderheiten-Schulgesetz für
Kärnten, BGBl. 101/1959 idF
326/1988 und 420/1990, ab.
Zur Begründung wird in den angefochtenen Bescheiden zunächst
auf die Verfassungsbestimmung des §7 des
Minderheiten-Schulgesetzes
für Kärnten verwiesen und daraus gefolgert,
dass den in dieser
Bestimmung genannten Schülern ein
verfassungsgesetzlich
gewährleistetes Recht eingeräumt sei, die
slowenische Sprache als
Unterrichtssprache zu gebrauchen oder als
Pflichtgegenstand zu
erlernen. Für die Realisierung dieses
verfassungsgesetzlich
gewährleisteten Anspruches - der übrigens im
Hinblick auf den
Wortlaut des Art7 Z2 des Staatsvertrages von
Wien (im Folgenden: StV
Wien) voraussetzungsgemäß nicht jedem
einzelnen Schüler gesondert,
sondern jeweils ganzen Schülergruppen zu
erteilen sei - sei im Rahmen
der behördlich zu treffenden Maßnahmen
ausschließlich von der
einfachgesetzlichen Rechtslage des
Minderheiten-Schulgesetzes für
Kärnten und jenen ausführungsgesetzlichen
Bestimmungen auszugehen,
die die Organisation der zweisprachigen
Volksschule bestimmen. In
diesem Sinne räume §13 Abs1 leg. cit. den gesetzlichen Vertretern von
Schülern ein Anmelderecht zum zweisprachigen
Unterricht beim Eintritt
in die Volksschule und in die Hauptschule,
aber auch zu Beginn eines
späteren Schuljahres ein. In dieser Bestimmung
sei ebenfalls ein
entsprechendes Widerrufsrecht dieser Anmeldung
vorgesehen. §16 Abs1
leg. cit. gestalte
dieses Recht auf Anmeldung in organisatorischer
Weise derart, dass der gesamte Unterricht -
für die Angemeldeten -
auf der Vorschulstufe sowie auf den ersten
drei Schulstufen der
Volksschule in annähernd gleichem Ausmaß in
deutscher und
slowenischer Sprache zu erteilen sei. Ab der
vierten Schulstufe sei
dann allerdings der Unterricht in deutscher
Sprache zu erteilen und
die slowenische Sprache mit vier Wochenstunden
als Pflichtgegenstand
zu führen. Ein diese Regelungen ergänzendes
oder sogar darüber
hinausgehendes Antragsrecht des Schülers bzw.
ein diesbezügliches
Anmelderecht der gesetzlichen Vertreter sei
weder dem §13 Abs1 noch
dem §16 Abs1 leg. cit.
zu entnehmen. Es müsse daher aus diesen
Regelungen der Schluss gezogen werden, dass
dem seinerzeitigen Antrag
an die Schulleitung der Volksschule Sittersdorf kein gesetzlich
eingeräumtes subjektives Recht entspreche. Der
Berufungswerber
vermöge daher ein diesbezügliches Recht auch
nicht erfolgreich
geltend zu machen.
Dem Berufungswerber sei jedoch insofern zuzustimmen, dass die
von der Schulleitung der Volksschule Sittersdorf bis hin zum
Landesschulrat für Kärnten ergangenen
Erledigungen seinen Antrag im
Sinne der einschlägigen Rechtsprechung in rechtsfeststellender Weise
behandeln und daher von der Berufungsbehörde
im Sinne der obigen
Darlegungen und im Hinblick auf die
einschlägige Rechtsprechung des
Verwaltungsgerichtshofs als bescheidmäßige Erledigungen zu
werten
seien.
3. Gegen diese Bescheide richten sich die
auf Art144 Abs1
B-VG gestützten Beschwerden, in denen die
Verletzung der
verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechte
auf Elementarunterricht
in slowenischer Sprache (Art7 Z2 StV Wien), auf Gleichheit aller
Staatsbürger vor dem Gesetz (Art2 StGG), auf Bildung und
Nichtdiskriminierung auf Grund der
slowenischen Muttersprache (Art2
1. ZP EMRK iVm Art14
EMRK), auf Gleichberechtigung einer
landesüblichen Sprache (Art19 Abs2 StGG) sowie der Sache nach - im
Zusammenhang mit der Behauptung der
Verfassungswidrigkeit des §16
Abs1 des Minderheiten-Schulgesetzes für
Kärnten - die Verletzung in
Rechten wegen Anwendung rechtswidriger
genereller Normen geltend
gemacht und die Aufhebung der angefochtenen
Bescheide beantragt wird.
4. Der Bundesminister für Unterricht und kulturelle
Angelegenheiten legte die Verwaltungsakten vor
und nahm von der
Erstattung einer Gegenschrift - im Hinblick
auf die Äußerung des
Bundeskanzleramtes-Verfassungsdienst in einem
anderen Verfahren -
Abstand.
5. Am 20. November 1996 ersuchte der Verfassungsgerichtshof
das Bundeskanzleramt-Verfassungsdienst, auf die in der Beschwerde
vorgebrachten Argumente zur behaupteten Verfassungswidrigkeit des §16
Abs1 Minderheiten-Schulgesetz für Kärnten
unter Vergleichung etwa mit
§3 Abs3 Bgld.
Minderheiten-Schulgesetz einzugehen. Das
Bundeskanzleramt-Verfassungsdienst kam diesem
Ersuchen jedoch nicht
nach.
6. Aus Anlass dieser Beschwerden hat der
Verfassungsgerichtshof am 12. Oktober 1999
beschlossen, gemäß Art140
Abs1 B-VG die Verfassungsmäßigkeit der Worte
"ersten drei" im ersten
Halbsatz sowie des zweiten Halbsatzes in §16
Abs1 des Bundesgesetzes
vom 19. März 1959, womit für das Bundesland
Kärnten Vorschriften zur
Durchführung der Minderheiten-Schulbestimmungen
des Österreichischen
Staatsvertrages getroffen werden
(Minderheiten-Schulgesetz für
Kärnten), BGBl. Nr. 101/1959 idF BGBl. Nr. 326/1988, 35/1990 und
420/1990, von Amts wegen zu prüfen.
Die gemäß Art144 Abs1 B-VG angefochtenen Bescheide des
Bundesministers für Unterricht und Kunst
stützen sich auf die §§7, 13
Abs1 und 16 Abs1 des
Minderheiten-Schulgesetzes für Kärnten.
Die im vorliegenden Fall maßgeblichen Bestimmungen lauten
(die in Prüfung gezogenen Stellen sind
hervorgehoben):
"Artikel I (Verfassungsbestimmungen).
a) Kompetenzbestimmungen.
...
b) Allgemeine Bestimmungen.
§7. Das Recht, die slowenische Sprache als Unterrichtssprache
zu gebrauchen oder als Pflichtgegenstand zu
erlernen, ist jedem
Schüler in dem gemäß §10 Abs1 dieses
Bundesgesetzes umschriebenen
Gebiet in den gemäß §10 Abs1 dieses
Bundesgesetzes festzulegenden
Schulen zu gewähren, sofern dies der Wille des
gesetzlichen
Vertreters ist. Ein Schüler kann nur mit
Willen seines gesetzlichen
Vertreters verhalten werden, die slowenische
Sprache als
Unterrichtssprache zu gebrauchen oder als
Pflichtgegenstand zu
erlernen.
...
§10. (1) Die örtliche Festlegung der für die slowenische
Minderheit im besonderen
in Betracht kommenden Volks- und
Hauptschulen hat für
jene Gemeinden zu erfolgen, in denen zu Beginn
des Schuljahres 1958/59 der Unterricht an
Volks- und Hauptschulen
zweisprachig erteilt wurde.
...
Artikel III.
Volks- und Hauptschulen.
§12. Neben den allgemeinen Formen der österreichischen Volks-
und Hauptschule mit deutscher
Unterrichtssprache können im Lande
Kärnten insbesondere für die slowenische
Minderheit folgende Formen
von Volks- und Hauptschulen oder Klassen und
Abteilungen an Volks-
und Hauptschulen geführt werden:
a) Volks- und Hauptschulen mit slowenischer
Unterrichtssprache;
b)
Volksschulen mit deutscher und slowenischer
Unterrichtssprache (zweisprachige
Volksschulen), worunter im Sinne
dieses Bundesgesetzes auch in Volksschulen mit
deutscher
Unterrichtssprache eingerichtete
Volksschulklassen mit deutscher und
slowenischer Unterrichtssprache (zweisprachige
Volksschulklassen) und
in Volksschulklassen mit deutscher
Unterrichtssprache eingerichtete
Abteilungen mit deutscher und slowenischer
Unterrichtssprache
(zweisprachige Volksschulabteilungen) zu
verstehen sind;
c) Abteilungen für den Unterricht in slowenischer Sprache,
die in Hauptschulen mit deutscher
Unterrichtssprache eingerichtet
sind.
§13. (1) Die Aufnahme in die im §12 genannten Schulen
(Klassen, Abteilungen) bedarf einer
diesbezüglichen ausdrücklichen
Anmeldung durch den gesetzlichen Vertreter des
Schülers beim Eintritt
in die Volksschule und in die Hauptschule,
doch kann die Anmeldung
auch zu Beginn eines späteren Schuljahres
erfolgen; sie wirkt ohne
weiteres bis zum Austritt aus der Volksschule
beziehungsweise
Hauptschule und kann vorher nur zum Ende eines
Schuljahres widerrufen
werden.
...
§16. (1) An den zweisprachigen Volksschulen
(Volksschulklassen, Volksschulabteilungen) ist
der gesamte Unterricht
auf der Vorschulstufe sowie auf den ersten
drei Schulstufen in
annähernd gleichem Ausmaß in deutscher und
slowenischer Sprache zu
erteilen; von der vierten Schulstufe an ist
der Unterricht -
unbeschadet des Abs2 (Religionsunterricht) -
in deutscher Sprache zu
erteilen, doch ist die slowenische Sprache mit
vier Wochenstunden als
Pflichtgegenstand zu führen. In
Volksschulklassen mit
deutschsprachigen und zweisprachigen
Abteilungen ist der
deutschsprachige Unterricht soweit wie möglich
für alle Schüler der
betreffenden Schulstufen gemeinsam zu
erteilen.
..."
Die Rechte der Minderheiten auf dem Gebiete des Schulwesens
sind in den StV St. Germain und Wien festgelegt.
Art68 Abs1 in dem gemäß Art149 Abs1 B-VG als
Verfassungsgesetz geltenden Abschn. V des III.
Teiles StV
Saint-Germain(-en-Laye vom 10. September 1919, StGBl. 303/1920)
lautet:
"Was das öffentliche Unterrichtswesen anlangt, wird die
österreichische Regierung in den Städten und
Bezirken, wo eine
verhältnismäßig beträchtliche Zahl
anderssprachiger als deutscher
österreichischer Staatsangehöriger wohnt,
angemessene Erleichterungen
gewähren, um sicherzustellen, dass in den
Volksschulen den Kindern
dieser österreichischen Staatsangehörigen der
Unterricht in ihrer
eigenen Sprache erteilt werde. Diese
Bestimmung wird die
österreichische Regierung nicht hindern, den
Unterricht der deutschen
Sprache in den besagten Schulen zu einem
Pflichtgegenstande zu
machen."
Der gemäß ArtII Z3 des BVG BGBl. 59/1964 im
Verfassungsrang
stehende Art7 Z2 StV
Wien (betreffend die Wiederherstellung eines
unabhängigen und
demokratischen Österreich, BGBl. 152/1955) lautet:
"Artikel 7
Rechte der slowenischen und kroatischen Minderheiten
...
2. Sie (österreichische Staatsangehörige der slowenischen und
kroatischen Minderheiten in Kärnten,
Burgenland und Steiermark) haben
Anspruch auf Elementarunterricht in
slowenischer oder kroatischer
Sprache und auf eine verhältnismäßige Anzahl
eigener Mittelschulen;
in diesem Zusammenhang werden Schullehrpläne
überprüft und eine
Abteilung der Schulaufsichtsbehörde wird für
slowenische und
kroatische Schulen errichtet werden."
Während also nach dem StV St. Germain für die Minderheiten
nur angemessene Erleichterungen für den
Unterricht an Volksschulen
gefordert waren, besteht nach dem - insoweit
unmittelbar anwendbaren
- StV Wien nunmehr
ein verfassungsgesetzlich gewährleisteter Anspruch
auf Elementarunterricht in slowenischer
Sprache (s.
VfSlg. 12.245/1989).
Ausführungsgesetze, die den zweisprachigen Schulunterricht
regeln, dürfen der im Verfassungsrang
stehenden Bestimmung des Art7
Z2 StV Wien nicht
widersprechen (vgl. VfSlg. 11.585/1987), um die im
StV normierten Minderheitenrechte gleichmäßig und effektiv zu
gewährleisten.
In seinem Einleitungsbeschluss ging der
Verfassungsgerichtshof vorläufig davon aus,
dass die Beschwerden
zulässig sind und er bei seiner Entscheidung
darüber die in Prüfung
gezogenen gesetzlichen Bestimmungen anzuwenden
hätte.
Im Prüfungsbeschluss führt der Verfassungsgerichtshof aus:
"Im vorliegenden Fall ist die Frage zu prüfen, ob der
einfache Gesetzgeber des
Minderheiten-Schulgesetzes für Kärnten den
Begriff des Elementarunterrichtes in
slowenischer Sprache - der dem
Angehörigen der slowenischen Minderheit nur
für die ersten
3 Schulstufen der Volksschule gewährleistet
ist - im Widerspruch zu
Art7 Z2 StV Wien
unzulässigerweise eingeengt hat.
Der Verfassungsgerichtshof geht vorläufig
davon aus, dass ein
Elementarunterricht in slowenischer Sprache
dann nicht mehr
gewährleistet ist, wenn Slowenisch - wenn auch
als Pflichtfach - nur
wie eine andere Fremdsprache unterrichtet
wird, während der übrige
Fachunterricht - ausgenommen der
Religionsunterricht - in deutscher
Sprache erteilt wird.
Aus der Entstehungsgeschichte des StV Wien ergibt sich für die
Bestimmung des Art7 Z2 StV
Wien Folgendes:
In der englischen Originalfassung dieser
Bestimmung ist in diesem
Zusammenhang von 'elementary
instruction' die Rede, während sich an
der Stelle des deutschen Wortes
'Mittelschulen' im englischen
Original der Ausdruck 'secondary
schools' findet. Die Endfassung
dieser Bestimmung entspricht - von zwei
geringfügigen Änderungen
abgesehen - im wesentlichen
einem Textvorschlag der UdSSR (vgl.
Stourzh, Geschichte des Staatsvertrages 1945 - 1955, Österreichs Weg
zur Neutralität, Studienausgabe, Wien-Köln
1985, 3. Aufl., S 58), dem
die übrigen Alliierten in den Beratungen zu
dieser Bestimmung in der
alliierten Staatsvertragskommission (vom 17. bis 24. August 1949)
letztlich zugestimmt haben. Aus den britischen
Protokollen über diese
Beratungen ('British Record of the 197th Meeting of
Foreign
Minister's Deputies
for
Vertreter der UdSSR einem anderslautenden
Vorschlag des Vereinigten
Königreiches entgegentrat (vgl. diesen bei Stourzh, aaO, 59 und in
der Ausgabe der britischen Protokolle, 197.
Sitzung v. 18. August
1949, Wortmeldung des britischen Delegierten Mallet, S 125), in
welchem ebenso vom 'Anspruch auf
Elementarunterricht in slowenischer
oder kroatischer Sprache' die Rede ist, diesen
aber von vornherein
auf Städte und Bezirke mit einem
'beträchtlichen Anteil (considerable
proportion)' österreichischer Staatsangehöriger der
Minderheitensprache beschränken wollte. Aus
den Beratungsprotokollen
über diese Bestimmung läßt
sich - über die zusammenfassende
Darstellung bei Stourzh
(aaO, 60-62) hinaus - entnehmen, daß
seitens
des Vertreters der UdSSR gegen den britischen
Vorschlag ua mit dem
Argument opponiert wurde, daß
darin ein Rückschritt hinter den
damaligen 'Ist-Zustand' ('This
would result in a position even worse
than that already existing in Austria') und hinter
jenen des Art68
des StV St. Germain erblickt werde und seitens der Westmächte darauf
mit dem Hinweis reagiert worden ist, daß eine solche Absicht von
ihrer Seite nicht bestehe (vgl. die
Wortmeldungen des Vertreters der
UdSSR, Zaroubin im
Rahmen der Generaldebatte in der 196. Sitzung vom
17. August 1949, S 120 und 121, und in der
197. Sitzung vom
18. August 1949, S 122 und 124, sowie des
Vertreters der Vereinigten
Staaten, Reber, in
der Sitzung v. 18. August 1949, S 123). Aus den
Beratungsprotokollen läßt
sich kein näherer Hinweis darauf entnehmen,
welchen Begriffsinhalt die Mitglieder der
Kommission mit 'elementary
tuition' (so der ursprüngliche Wortlaut des sowjetischen Vorschlages)
bzw. 'elementary instruction' (so die Endfassung der Beratungen der
Kommission, britische Protokolle, aaO, 134) verbunden haben. Es läßt
sich aus zusammenfassenden Wortmeldungen auch
entnehmen, daß die
Kommission der österreichischen
Bundesregierung (wie es dort jeweils
hieß) keine bis ins Detail gehenden Auflagen
erteilen, sondern es ihr
überlassen wollte, mit welchen Maßnahmen die
'Prinzipien' dieser
Bestimmung umgesetzt werden (vgl. die
Wortmeldung des französischen
Vertreters Berthelot in der 199. Sitzung vom
22. August 1949, S 131,
am Ende der Debatte zu Art7 Z2, der damit
seine Zustimmung zum
sowjetischen Vorschlag erklärte und dem in dieser
Hinsicht in der
Folge auch nicht widersprochen wurde).
Auch die österreichische Seite war der
Ansicht, daß die 'eher
allgemein gehaltene und oft unpräzise Textierung des sowjetischen
Vorschlages, wenn sie in den Staatsvertrag
übergeht, der
Bundesregierung keine wirklich schwer
wiegenden Schwierigkeiten
bereiten (kann), denn diese Textierung würde sie nicht daran hindern,
im Wege der ohnedies erforderlichen
Durchführungsverordnungen die
Voraussetzungen des Schutzes und seine
Modalitäten in jener Weise zu
regeln, die unseren Interessen im allgemeinen und dem Wunsche nach
Präzision und Klarheit im Besonderen voll
entspricht' (vgl. den laut
Vermerk vom 24. Juli 1949, Zl. 85.485-Pol/49,
in der
Ministerratssitzung vom 19. Juli 1949 mündlich
vorgetragenen Antrag
des Bundesministers für Unterricht an den
Ministerrat). Allerdings
bedeutet der Hinweis in diesem Antrag 'Ein
weiterer Einwand könnte
erhoben werden, daß
der sowjetische Text ... das Recht auf
Volksschulunterricht in der slowenischen und
kroatischen Sprache und
auf eine proportionelle
Anzahl von eigenen Mittelschulen der
Minderheiten festsetzt, es aber unterläßt, genauer zu bestimmen, wie
groß das Verhältnis der slowenischen und
kroatischen Mittelschüler in
dem betreffenden Schulbezirk sein muß, damit diese Bestimmung
praktisch zu spielen beginnen könne' ein Indiz
dafür, daß zumindest
die österreichische Seite davon ausging, mit
dem Elementarunterricht
sei der Volksschulunterricht gemeint.
Dazu kommt, daß die Entstehungsgeschichte des StV Wien
erkennen läßt, daß er keinen Rückschritt hinter die Intentionen des
Art68 StV St. Germain bedeuten sollte. Die in dieser Bestimmung
enthaltene Intention, den Kindern von
Minderheiten den Unterricht in
ihrer eigenen Sprache zu erteilen, bezog sich
ganz allgemein auf die
Volksschulen in Städten und Bezirken, wo eine
verhältnismäßig
beträchtliche Zahl anderssprachiger als
deutscher österreichischer
Staatsangehöriger wohnt. Im Art68 des StV St. Germain wurde die
österreichische Regierung allerdings nur
verpflichtet, 'angemessene
Erleichterungen' zu gewähren; ein subjektives
öffentliches Recht auf
zweisprachigen Unterricht wurde erst mit der
Bestimmung des Art7 Z2
StV Wien eingeräumt. Der Verfassungsgerichtshof nimmt aber vorläufig
an, daß sich aus der
Entstehungsgeschichte des StV Wien nichts
entnehmen läßt, was
auf eine Einschränkung des zweisprachigen
Unterrichts gegenüber dem StV
St. Germain auf bestimmte Stufen der
Volksschule hindeuten würde.
Selbst wenn man davon ausgeht, daß bei den im
Zeitpunkt des
Abschlusses des Staatsvertrages bestehenden
achtklassigen
Volksschulen die Grenze zwischen einem
Elementarunterricht und einem
weiterführenden Unterricht nicht eindeutig
bestimmt war, ist der
Verfassungsgerichtshof vorläufig der Meinung, daß spätestens seit dem
Schulorganisationsgesetz BGBl. Nr. 242/1962
die Grenze zwischen
Elementarunterricht und weiterführendem
Unterricht mit der vierten
Klasse der Volksschule gezogen wurde. Gemäß §9
Abs2 leg. cit. hat
nämlich die Volksschule in den ersten vier
Schulstufen (Grundschule)
eine für alle Schüler gemeinsame
Elementarbildung zu vermitteln. In
der 5. bis 8. Schulstufe (Oberstufe) hat die
Volksschule die Aufgabe,
eine grundlegende Allgemeinbildung zu
vermitteln sowie die Schüler je
nach Interessen, Neigung, Begabung und
Fähigkeit für das Berufsleben
und zum Übertritt in mittlere Schulen oder in
höhere Schulen zu
befähigen (§9 Abs3 leg. cit.).
Schließlich bildet die Unterscheidung zwischen
Elementarunterricht (elementary
instruction) einerseits und
Mittelschulen (secondary
schools) andererseits ein Indiz dafür, daß
mit Elementarunterricht die erste Hälfte der
Pflichtschule und damit
der gesamte Volksschulunterricht gemeint war,
während unter
'secondary school' der Unterricht für die 10- bis 14-Jährigen
verstanden wurde.
Dazu kommt, daß Art7 Z2 StV
Wien österreichischen
Staatsangehörigen der slowenischen Minderheit
in Kärnten sowohl
Anspruch auf Elementarunterricht in
slowenischer Sprache als auch auf
verhältnismäßige Anzahl eigener Mittelschulen
einräumt. Der
Verfassungsgerichtshof hält es vorläufig für
systemwidrig, für die
slowenische Minderheit in Kärnten eigene
Mittelschulen einzurichten
und gleichzeitig vorzusehen, daß in der letzten Volksschulklasse vor
der Mittelschule der Unterricht nicht in
annähernd gleichem Ausmaß in
deutscher und slowenischer Sprache, sondern
ausschließlich in
deutscher Sprache (mit vier Wochenstunden
Slowenisch als
Pflichtgegenstand) erteilt wird.
Vergleicht man die Regelungen des ebenfalls in Ausführung des
Art7 Z2 StV Wien
ergangenen Minderheiten-Schulgesetzes für das
Burgenland, BGBl. 641/1994, mit jenen des
Kärntner
Minderheiten-Schulgesetzes, so fällt auf, daß der Gesetzgeber dort
vom Verständnis ausging, der
Elementarunterricht umfasse alle
4 Schulstufen der Volksschule. §3 Abs3
Minderheiten-Schulgesetz für
das Burgenland ordnet nämlich an:
'An zweisprachigen Volksschulen (Volksschulklassen) ist der
gesamte Unterricht in der Vorschulstufe und der 1. bis 4. Schulstufe
in deutscher und kroatischer bzw. deutscher
und ungarischer Sprache
zu erteilen.'
Es liegt zwar im Gestaltungsspielraum des einfachen
Gesetzgebers, Ausführungsregelungen zur
Gewährleistung der im StV
normierten Minderheitenrechte zu erlassen. Vor
dem Hintergrund der
Entstehungsgeschichte des Art7 Z2 StV Wien, des österreichischen
Schulsystems, das vier Klassen
Volksschulunterricht vorsieht, in
denen eine Elementarbildung vermittelt wird,
und des ...
dargestellten systematischen Zusammenhanges
zwischen Volksschulen und
Mittelschulen geht jedoch der
Verfassungsgerichtshof vorläufig davon
aus, daß der
einfache Gesetzgeber des Minderheiten-Schulgesetzes für
Kärnten den Begriff des Elementarunterrichtes
in slowenischer Sprache
- der dem Angehörigen der slowenischen
Minderheit nur für die ersten
drei Schulstufen der Volksschule gewährleistet
ist - im Widerspruch
zu Art7 Z2 StV Wien
unzulässigerweise eingeengt hat."
Die Bundesregierung teilte mit, dass innerhalb der vom
Verfassungsgerichtshof gesetzten Frist zur
Abgabe einer Stellungnahme
eine diesbezügliche Beschlussfassung der
Bundesregierung nicht
erfolgt sei.
II.
Der Verfassungsgerichtshof hat erwogen:
1. Die vorläufigen Annahmen, dass die Beschwerdeverfahren,
die Anlass zur Einleitung eines Gesetzesprüfungsverfahrens gegeben
haben, zulässig sind und dass der
Verfassungsgerichtshof bei seiner
Entscheidung über die Beschwerden die in
Prüfung gezogenen
Bestimmungen anzuwenden hätte, haben sich als
zutreffend erwiesen.
Die Beschwerden sind ungeachtet des Umstandes, dass die
angefochtenen Bescheide mittlerweile ins Leere
gehen, zulässig.
2. Auch die im Prüfungsbeschluss dargelegten Bedenken ob der
Verfassungsmäßigkeit der in Prüfung gezogenen
Bestimmung treffen zu:
Weder die Bundesregierung noch der Bundesminister für
Unterricht und kulturelle Angelegenheiten
haben von der vom
Verfassungsgerichtshof eingeräumten
Möglichkeit der Erstattung einer
Äußerung Gebrauch gemacht. Es sind somit keine
Argumente vorgebracht
worden, die die vorläufigen Bedenken des
Verfassungsgerichtshofes
zerstreuen könnten. Bereits im Vorverfahren
wurde das
Bundeskanzleramt-Verfassungsdienst eingeladen,
zu der Frage der
Verfassungsmäßigkeit der in Rede stehenden
Bestimmungen des
Minderheiten-Schulgesetzes für Kärnten
Stellung zu nehmen,
insbesondere im Hinblick auf die Regelung des
§3 Abs3
Burgenländisches Minderheiten-Schulgesetz. Auch diesem Ersuchen war
nicht nachgekommen worden.
3. Sämtliche im Prüfungsbeschluss geäußerten Bedenken treffen
zu.
Ein Elementarunterricht in slowenischer Sprache ist dann
nicht mehr gewährleistet, wenn Slowenisch -
wenn auch als Pflichtfach
- nur wie eine andere Fremdsprache
unterrichtet wird, während der
übrige Fachunterricht - ausgenommen der
Religionsunterricht - in
deutscher Sprache erteilt wird.
Aus der Entstehungsgeschichte des StV Wien
(vgl. dazu den
oben wiedergegebenen Einleitungsbeschluss)
lässt sich nichts
entnehmen, was auf eine Einschränkung des
zweisprachigen
Elementarunterrichts gegenüber dem StV St. Germain auf bestimmte
Stufen der Volksschule hindeuten würde.
Angesichts der (im
Einleitungsbeschluss umschriebenen) Aufgabe
der Volksschule, die
Schüler u.a. zum
Übertritt in mittlere und höhere Schulen zu
befähigen, legt es der Zusammenhang zwischen
dem Unterricht in der
Volksschule und in der Mittelschule vielmehr
nahe, unter
Elementarunterricht jenen zu verstehen, der an
die Mittelschule
heranführt. Dieser Deutung der Rechtslage
widerspricht aber eine
Regelung, die einerseits für die slowenische
Minderheit in Kärnten
eigene Mittelschulen einrichtet und
andererseits vorsieht, dass in
der letzten Volksschulklasse vor der Mittelschule
der Unterricht
nicht in annähernd gleichem Ausmaß in
deutscher und slowenischer
Sprache, sondern ausschließlich in deutscher
Sprache (mit vier
Wochenstunden Slowenisch als
Pflichtgegenstand) erteilt wird.
Der einfache Gesetzgeber des Minderheiten-Schulgesetzes für
Kärnten hat daher den Anspruch
österreichischer Staatsangehöriger der
slowenischen Minderheit auf Elementarunterricht in slowenischer
Sprache, der dem Angehörigen der slowenischen
Minderheit nur für die
ersten drei Schulstufen der Volksschule
gewährleistet ist, im
Widerspruch zu Art7 Z2 StV
Wien unzulässigerweise eingeengt.
Da sich die vorläufigen Bedenken des Verfassungsgerichtshofes
mangels Entkräftung durch die zur Vertretung
dieser Normen berufenen
Organe als zutreffend erwiesen haben, waren
die in Prüfung gezogenen
Bestimmungen als verfassungswidrig aufzuheben.
4. Der Verfassungsgerichtshof geht zunächst davon aus, dass
nach Aufhebung der in Prüfung gezogenen
Bestimmungen organisatorische
Maßnahmen im Schulbereich gesetzt werden
müssen und hält daher die
Setzung einer auf das Schuljahr abgestimmten
Frist für die Aufhebung
gemäß Art140 Abs5 B-VG für erforderlich. Im
Hinblick auf den Beginn
des nächsten Schuljahres im September 2000 erscheint eine
Fristsetzung für das Inkrafttreten der
Aufhebung von sechs Monaten zu
kurz. Um allfällige Vorkehrungen für die
folgenden Schuljahre zu
ermöglichen, hat der Verfassungsgerichtshof
gemäß Art140 Abs5 B-VG
für das Außerkrafttreten der als verfassungswidrig
erkannten
Gesetzesbestimmungen den 31. August 2001
bestimmt.
Die Verpflichtung des Bundeskanzlers zur unverzüglichen
Kundmachung dieser Aufhebung ergibt sich aus
Art140 Abs5 erster Satz
B-VG.
Von der Durchführung einer mündlichen Verhandlung konnte
gemäß §19 Abs4 erster Satz VerfGG
1953 abgesehen werden.
Schlagworte
Schulen, Minderheiten, VfGH
/ Fristsetzung
Dokumentnummer
JFT/09999691/00G00002