Typ

VfGH Erkenntnis

 

  Datum

19891215

 

  Sammlungsnummer

12245

 

 

 

Geschäftszahl

G233/89,G234/89

 

Index

70    Schulen

70/09 Minderheiten-Schulrecht

 

Norm

B-VG Art140 Abs1 / Präjudizialität;

Krnt AusführungsG zum Minderheiten-SchulG §1 Abs1;

Minderheiten-SchulG f Krnt §7 Abs1;

StV Wien 1955 Art7;

StV Wien 1955 Art7 Z2;

Minderheiten-SchulG f Krnt §10 Abs1;

Minderheiten-SchulG f Krnt §10 Abs2;

Minderheiten-SchulG f Krnt §11;

 

Leitsatz

Recht auf Elementarunterricht in slowenischer Sprache für

Minderheitsangehörige in Kärnten - grundsätzlich landesweit -

verfassungsgesetzlich gewährleistet; verfassungswidrige Beschränkung

der Ausübung dieses Rechtes durch örtliche Festlegung der für

Minderheitsangehörige bestimmten Schulen; Erteilung des Unterrichtes

nicht für den einzelnen Schüler, sondern für Schülergruppen

vorgesehen; außerhalb des autochthonen Siedlungsgebietes Einrichtung

der Schulen von tatsächlichem Bedarf abhängig; nachhaltiger Bedarf

für Klagenfurt gegeben

 

 

Rechtssatz

Präjudiziell in der Bedeutung des Art140 Abs1 B-VG sind nicht

nur die von der belangten Behörde zwar nicht ausdrücklich

zitierten, aber der Sache nach angewendeten landesgesetzlichen

(Ausführungs-)Bestimmungen des §1 Abs1 des Gesetzes vom

10.07.1959, LGBl. 44/1959 (über Volksschulen für die slowenische

Minderheit), sondern auch die vom Verfassungsgerichtshof zugleich

mit diesen landesgesetzlichen Vorschriften anzuwendenden

bundesgesetzlichen Grundsatznormen des §10 Abs2

Minderheiten-SchulG f Krnt und die Wortfolge "in den nach §10

in Betracht kommenden Gemeinden Kärntens" in §11 dieses

Bundesgesetzes, da die beiden bundesgesetzlichen Bestimmungen

untrennbar zusammenhängen.

 

Losgelöst und unabhängig davon, ob in Übungsschulen zweisprachiger

Unterricht erteilt werden (vorgesehen sein) müsse, stellt sich hier

die - für die Prüfung der Prozeßvoraussetzungen maßgebende - Frage,

ob ein derartiger Unterricht (in Übungsschulen) tatsächlich

vorgesehen ist. Diese Frage hat der Verfassungsgerichtshof aber auf

Grund der beiden zitierten Gesetze zu beantworten, welche die

örtliche Festlegung aller für die Minderheit in Betracht kommenden

Volks- und Hauptschulen - in Modifizierung der sonstigen

Kompetenzrechtslage - dem Regime der Grundsatz- und

Ausführungsgesetzgebung zuordnen (§3 Minderheiten-SchulG f Krnt).

 

Mit Beziehung auf §10 Abs1 des Minderheiten-SchulG f Krnt,

war das Normenkontrollverfahren einzustellen, weil diese Norm die

Durchführung einer "amtlichen Minderheitenfeststellung" erfordert,

zu der es bisher nicht kam. §10 Abs1 des Minderheiten-SchulG

f Krnt kann darum auch keine Voraussetzung für die

Entscheidung des Verfassungsgerichtshofes bilden.

 

Art7 Z2 des StV Wien 1955 ist zureichend determiniert und

darum unmittelb anwendbar - Grundrechtsqualität des Rechts auf

Elementarunterricht in Slowenisch.

 

Verfassungsgesetzliche Minderheiten-Schutzbestimmungen, wie sie

Art7 Z2 des StV Wien 1955 enthält, dürfen schon vom

Regelungszweck her nicht restriktiv ausgelegt werden.

 

Art7 Z2 leg. cit. gewährleistet (ua.) österreichischen

Staatsangehörigen der slowenischen Minderheit in Kärnten ein

subjektives (öffentliches) Recht auf Elementarunterricht in

slowenischer Sprache, indem den (elementarschulpflichtigen)

Minderheitsangehörigen ausdrücklich ein "Anspruch" auf solchen

Unterricht verbürgt wird.

 

Das Recht nach Art7 Z2 des StV Wien 1955 besteht in

Kärnten für Minderheitsangehörige grundsätzlich landesweit, eine

engere territoriale Bindung kennt die Bundesverfassung nicht: In

der Z2 dieser Bestimmung geht es um das bedeutungsmäßig vorrangige

und vorgelagerte Recht auf Elementarunterricht in Slowenisch

überhaupt: Jedem Kind, das zur slowenischen Minderheit in Kärnten

zählt, ist dieses für die weitere Entwicklung unverzichtbare Recht

auf Elementarunterricht in der Muttersprache verfassungsgesetzlich

gewährleistet.

 

§10 Abs2 des Minderheiten-SchulG f Krnt, BGBl. 101/1959,

war verfassungswidrig.

 

Die Wortfolge "in den nach §10 in Betracht kommenden Gemeinden

Kärntens" in §11 des Minderheiten-SchulG f Krnt, BGBl.

101/1959, wird als verfassungswidrig aufgehoben.

 

Die einfach-bundesgesetzlichen Vorschriften des §10 Abs2 und die

Wortfolge "in den nach §10 in Betracht kommenden Gemeinden

Kärntens" im §11 des Minderheiten-SchulG f Krnt verstoßen

gegen die Verfassungsnorm des Art7 Z2 des StV Wien 1955.

Sie bestimmen, daß nur Minderheitsangehörige aus bestimmten

Gemeinden Unterricht in slowenischer Sprache erhalten müssen (vgl.

§11 Satz 1 Minderheiten-SchulG f Krnt). Demgegenüber gibt

aber der Staatsvertrag von Wien den im ganzen Bundesland Kärnten

lebenden (elementarschulpflichtigen) Angehörigen der slowenischen

Minderheit das Recht auf Inanspruchnahme entsprechender schulischer

Einrichtungen. Dies schließt indes nicht mit ein, daß ausnahmslos

jeder einzelne Minderheitsangehörige im schulpflichtigen Alter

gerade in der Wohnsitzgemeinde in slowenischer Sprache unterrichtet

werden müsse. Vielmehr läßt es der Staatsvertrag von Wien zu, in

dieser Beziehung Aspekte des tatsächlichen Bedarfs und des

ökonomischen Einsatzes öffentlicher Mittel (mit-) zu

berücksichtigen.

 

Art7 Z2 des StV Wien 1955 läßt keinen Zweifel daran,

daß der garantierte Elementarunterricht in Unterrichtsanstalten

(Schulen) zu gewähren, also jeweils ganzen Schülergruppen zu

erteilen ist. Im autochthonen Siedlungsgebiet der slowenischen

Minderheit im Bundesland Kärnten (Art7 Z3 des StV Wien 1955)

müssen derartige Elementarschulen schon von der

Zielsetzung des Art7 des StV Wien 1955 her notwendig

für jede Gemeinde bestimmt werden. Außerhalb des autochthonen

Siedlungsgebiets der slowenischen Minderheit in Kärnten ist die

Einrichtung solcher Schulen nach Wortlaut und Sinngehalt des

Staatsvertrages von Wien von einem nachhaltigen, lokalen Bedarf

abhängig, folglich nur bei Zustandekommen einer entsprechenden

Schülergruppe (unter Umständen aus mehreren Gemeinden)

verpflichtend. Ein (nachhaltiger) Bedarf dieser Art ist nach den

Ergebnissen des verfassungsgerichtlichen Verfahrens jedenfalls und

unbestreitbar in der Landeshauptstadt Klagenfurt zu bejahen.

 

§1 Abs1 des Gesetzes vom 10.07.1959, mit dem die

Grundsatzbestimmungen des Minderheiten-SchulG f Krnt

ausgeführt werden, LGBl. für Kärnten Nr. 44/1959, wird als

verfassungswidrig aufgehoben.

 

§1 Abs1 des Kärntner Ausführungsgesetzes verstößt ebenso gegen

Art7 Z2 StV Wien 1955 wie der im gleichen

Erkenntnis als verfassungswidrig festgestellte §10 Abs2

Minderheiten-SchulG f Krnt und die mit ebendiesem Erkenntnis

aufgehobene Wortfolge in §11 leg. cit., weil jene Norm als

Volksschulen für die slowenische Minderheit nur jene

Unterrichtsanstalten bezeichnet, an denen zu Beginn des Schuljahres

1958/59 der Unterricht zweisprachig erteilt wurde, also verhindert,

daß auch volksschulpflichtige Minderheitsangehörige, die außerhalb

des von §1 des zitierten Landesgesetzes erfaßten Gebietes wohnen,

ihr Recht auf Elementarunterricht in Slowenisch durchsetzen können.

 

(Anlaßfall: E v 15.12.89, B1699/88 - Aufhebung des angefochtenen

Bescheides)

 

Textdokument

TE VfGH Erkenntnis 1989/12/15 G 233,234/89

 

Schlagworte

VfGH / Präjudizialität, Grundsatz- und Ausführungsgesetzgebung,

Minderheiten Schulen, Volksgruppen, Rechte subjektive öffentliche,

Rechte verfassungsgesetzlich gewährleistete

 

Dokumentnummer

JFR/10108785/89G00233